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Volkstrauertag 2022

Die Gedenkveranstaltung, gestaltet von der Ortgemeinde und den beiden Kirchengemeinden, erinnerte an die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft. Ein zentrales Thema bei der Veranstaltung war der russische Angriff auf die Ukraine.

Wir danken dem Volksbund für die Bereitstellung der Materialien. Teile der Rede, der Ansprache und der Gebete wurden aus der Broschüre Volkstrauertag 2022 entnommen.

Gedenkrede Ortsbürgermeisterin

Liebe Anwesende,

Sie erinnern sich sicherlich an die Gedenkstunde im vergangenen Jahr auf dem Friedhof in Dittelsheim. An einem grauen Novembermorgen wie diesem legten wir einen bunten und farbenfrohen Kranz nieder. Die beiden Kränze auf beiden Friedhöfen fielen auf und es wurde später viel diskutiert, ob die vorherrschenden Farben nämlich rot und blau angemessen sind. Zur Trauer gehört nun einmal zurückhaltender Blumenschmuck. Die Aster z.B. ist ein Symbol der Vergänglichkeit, eine beliebte Friedhofsblume.

Wir sprachen im letzten Jahr vom Frieden in Europa, der auch offiziell durch Blumen zum Ausdruck gebracht werden soll.

Die rote Mohnblume ist in England ein Symbol der Hoffnung, die blaue Kornblume in Frankreich Symbol für die lebendige Erinnerung, das Vergissmeinnicht in Deutschland steht für eine liebevolle Erinnerung.

Der letzte Satz meiner Rede im vergangenen Jahr lautete:

„Der Volkstrauertag ist somit auch eine Brücke in die gemeinsame friedliche Zukunft Europas.“

Europa steht zusammen, trauert gemeinsam, setzt sich gemeinsam für den Frieden ein.

Was aber hat sich in den letzten Monaten nicht alles geändert. Wer hätte ahnen können, dass wir heute im Krieg sind?

Für jeden von uns war es nicht  vorstellbar, dass Russland tatsächlich die Ukraine angreifen könnte. Seit Februar, wenn wir präzise hinschauen, eigentlich bereits seit der Annexion der Krim im Jahre 2014, herrscht wieder Krieg in Europa. Russland hat mit dem Angriff auf die Ukraine erneut das Völkerrecht und alle Regeln der Nachkriegsordnung in Europa gebrochen. Im Jahr 2022 müssen wir nun Bilder aus derUkraine sehen, von denen wir gehofft hatten,dass sie sich gerade auf unserem Kontinentniemals wiederholen: Menschen, dievor Bomben in U-Bahnschächte fliehen, diesich an der Grenze von ihren Familien trennenoder gar für immer Abschied nehmenmüssen an langen, frisch ausgehobenenGrabreihen. Wir sehen, was die Menschenerleiden müssen nach dem skrupellosenÜberfall Russlands, für den Präsident Putinund die russische Regierung die politischeVerantwortung übernehmen müssen. Wirsehen, wozu Menschen in diesem Ausnahmezustandfähig sind – im Guten wie imSchlechten: Flüchtlingskonvois unter gezieltemBeschuss, geplünderte und zerstörteStädte und grausame Massaker an Zivilisten,aber auch erbitterter Widerstand vonukrainischen Soldaten, mutiger Protest vonZivilisten gegen Panzer und eine immenseinternationale Hilfsbereitschaft.

All diese Schrecken des Krieges finden im Herzen Europas statt. Auch in diesem Moment.

Am Volkstrauertag gedenken wir aller Toten von Krieg und Gewaltherrschaft in Deutschland und weltweit. Doch in diesem Jahr denken wir im Besonderen an die Kriegstoten und ihre Angehörigen in der Ukraine: der vielen in den vergangenen Monaten gefallenen Soldaten und getöteten Zivilisten.

Unser Mitleid gilt aber auch den getöteten russischen Soldaten, die diesem verbrecherischen Krieg nicht ausweichen konnten und oft sogar mit einer falschen Wahrheit in die Pflicht genommen wurden.

Eine junge Frau hat die Grausamkeit des Krieges und ihre Ohnmacht in folgenden Worten ausgedrückt: Ich möchte einige Zeilen aus ihrem Gedicht vortragen:

ich kenne keinen Krieg

ich kenne nur

nachrichtenbilder

explosionen in städten und weinende kinder,

daneben der sprecher, der sachlich erklärt:

Am 6. Tag der Invasion in der Ukraine haben

die russischen Truppen ihre Angriffe verstärkt.

ich kenne keinen Krieg

ich kenne nur

frieden

ich musste nie fliehen, bin immer geblieben.

ich hatte nie hunger, bin immer schon satt.

ich musste nie schießen, weil man‘s mir befohlen

hat.

ich kann seine schrecken nur benennen,

doch andere müssen den krieg durchleben.

ich wünschte, ich wär‘ nicht so machtlos dagegen.

ich wünschte, ein jeder würd‘ ihn wie ich

nur noch vom

hörensagen kennen.

Wir, die immer in Frieden leben durften, können sich das Leid nicht vorstellen. Für uns gilt der Satz aus dem Evangelium, ein Satz der auch in unserem  Grundgesetz verankert ist:

 „Die Menschenwürde ist unantastbar“

„Die Menschenwürde ist unantastbar“ und zwar überall – diese Lehre aus dem Zivilisationsbruch des Angriffskrieges gilt unverändert.

Das Motto des Volksbundes lautet: „Gemeinsam für den Frieden“ .

Mit dem  Volksbund erinnern wir  an die vergangenen und heutigen Kriege und schaffen ein Bewusstsein dafür, dass wir uns für Frieden einsetzen müssen. Den Weg zum Frieden kann man nirgendwo besser starten als hier auf dem Friedhof vor den Gedenktafeln unserer verstorbenen Ahnen.

Marlene Dietrich hat in den 60-er Jahren ein Antikiegslied gesungen, das Sie alle kennen. „Sag mir, wo die Blumen sind“ . Kaum bekannt ist, dass das Lied auf ukrainische Musik und auf einen ukrainischen Text zurückgeht.

Bei Marlene Dietrich handelt es sich um ein Kettenlied:

Sag mir wo die Blumensind, Mädchenpflückten sie geschwind, sag mir wo die Mädchen sind, Männernahmen sie geschwind, sag mir wo die Männer sind, sie zogen fort, der Krieg beginnt. Sag mir wo die Soldatensind, über Gräbern weht der Wind .. Wann wird man je verstehen.

Hören wir das Lied:

„Sag mir wo die Blumen sind“

Es gibt zwei Quellen für das Lied „Sag mir wo die Blumen sind“. Einmal aus einem bekannten Roman eines ukrainischen Schriftstellers, der später den Literaturnobelpreis erhielt.  

In der Mitte des Romans gibt es eine Aneinanderreihung, eine Kette, ähnlich wie bei Marlene Dietrich

Im Roman heißt es: „Und wo sind die Gänse? Sie liefen ins Schilf. Und wo ist das Schilf hin? Von Mädchen gemäht. Und wo sind die Mädchen? Verheiratet längst. Und wo die Kosaken? Sind fort in den Krieg.“

Die zweite Quelle ist das Lied Kaloda Duda ein Wiegenlied der Kosaken, die russisch und ukrainisch waren. Leider ist es uns nicht gelungen, eine Tonaufnahme zu finden, die wir auch hier abspielen können.

Wenn wir heute vor den Gräbern stehen, dann gibt es keinen Unterschied mehr zwischen den Nationalitäten und Uniformen, dann sind alle Kriegsgräber gleich und das Leid ist unermesslich groß.

Die Toten wurden alle zu Opfern des Krieges, egal ob Russen, Ukrainer, Deutsche, Österreicher, Polen, Franzosen oder Engländer. Wir gedenken daher aller Opfer von Gewalt und Verbrechen in dem bekannten Totengedenken, das seit 1952 bei allen Gedenkveranstaltungen vorgetragen wird.

Totengedenken

Wir denken heute an die Opfer von Gewalt und Krieg, an Kinder, Frauen und Männer aller Völker.

Wir gedenken der Soldaten, die in den Weltkriegen starben, der Menschen, die durch Kriegshandlungen oder danach in Gefangenschaft, als Vertriebene und Flüchtlinge ihr Leben verloren.

Wir gedenken derer, die verfolgt und getötet wurden, weil sie einem anderen Volk angehörten, einer anderen Rasse zugerechnet wurden, Teil einer Minderheit waren oder deren Leben wegen einer Krankheit oder Behinderung als lebensunwert bezeichnet wurde.

Wir gedenken derer, die ums Leben kamen, weil sie Widerstand gegen Gewaltherrschaft geleistet haben, und derer, die den Tod fanden, weil sie an ihrer Überzeugung oder an ihrem Glauben festhielten.

Wir trauern um die Opfer der Kriege und Bürgerkriege unserer Tage, umdie Opfer von  Terrorismus und politischer Verfolgung, um die Bundeswehrsoldaten und anderen Einsatzkräfte, die im Auslandseinsatz ihr Leben verloren.

Wir gedenken heute auch derer, die bei uns durch Hass und Gewalt gegen Fremde und Schwache Opfer geworden sind.

Wir trauern mit allen, die Leid tragen um die Toten, und teilen ihren Schmerz. Aber unser Leben steht im Zeichen der Hoffnung auf Versöhnung unter den Menschen und Völkern, und unsere Verantwortung gilt dem Frieden unter den Menschen zu Hause und in der ganzen Welt.

Ansprache Pfarrerin Lilli Agbenya

Wie kann Gott das zulassen? Diese Frage ist so alt wie die Menschheit. In der Nazidiktatur haben viele Opfer des Terrors Gott angefleht und angesichts ihrer Ohnmacht, der Ungerechtigkeit und des Leids ihren Glauben verloren. Kriegsopfer haben sich danach gesehnt, dass Gott dem Morden ein Ende bereiten würde. Damals und auch heute wieder beim Angriff auf die Ukraine: Wo ist Gott? Warum tut er nichts gegen das Böse?

Wir wissen nicht viel über Gott, aber seine Grundeigenschaften kennen wir. Sie sind beschrieben durch die ganze Bibel hinweg, sind der Kern des jüdisch-christlichen Glaubens: Es ist ein Gott, der sich ansprechen lässt von der Not der Menschen. Er will Diktatur und Unrecht ein Ende machen, er steht auf der Seite der Opfer. Deshalb hat er sein Volk aus der Knechtschaft Ägyptens befreit und ihm die Gebote gegeben, damit die Gerechtigkeit ihr Leben bestimmt und sie als freie Menschen in Frieden und ohne gegenseitige Unterdrückung miteinander leben können.

Gott ist also keiner, der unberührt von unserem Leid hinter den Wolken thront. Er lässt sich ansprechen, er hört das Schreien seiner Geschöpfe, ja, er leidet mit. Gott gedenkt des Menschen.

Darauf basiert all unser menschliches Gedenken. Weil Gott keinen Menschen vergisst, sind auch wir herausgefordert, gemäß Gottes Weisung Verantwortung zu übernehmen für die Würde und das Recht des Anderen, insbesondere des Schutzlosen und Ausgegrenzten. In der Nachahmung Gottes können wir in Empathie unser Engagement für Entrechtete entfalten: Wie Jesus selbst sich stets den Armen zuwandte, den Leidenden half und an keinem Bedürftigen achtlos vorbei ging, so lehrte er auch seinen Nachfolgenden die tätige Nächstenliebe.

Wenn wir auf den Krieg in der Ukraine schauen, ist – bei aller Wut auf die russische Invasion und bei aller Verzweiflung angesichts der Zerstörung und des Mordens – auch nach dem zu fragen, was wir versäumt haben. Damit meine ich nicht die mangelnde Aufrüstung, sondern Wege zur Deeskalation, Mittel zur friedlichen Verständigung. Es verdient all unsere Kraft und Fantasie, gewalttätige Auseinandersetzungen zu verhindern. Wie kann der Mensch das zulassen? Zulassen, dass Kriege entstehen und das damit verbundene Leid, die unbeschreiblichen Grausamkeiten in Kauf nehmen für nationale Interessen? So wird die Frage nach Gott umgekehrt zur Frage nach dem Menschen: Adam, wo bist du?

Gott selbst fragt nach den Menschen: Wird er bei ihnen Glauben finden? Wird das, was er uns vorgibt und vorlebt – Frieden, Liebe und Hoffnung – bei uns Glauben finden?

So gesehen ist Glaube mehr als ein Fürwahr-halten. Es ist eine Tätigkeit für den Anderen. Zuweilen ein militanter Akt. Wir sollen dafür eintreten, dass anderen ihr Recht verschafft wird.

Dazu macht uns das Gebet stark: Gott bestärkt uns darin, nach seinem Recht zu fragen. Beten heißt, dem Unrecht trotzen. Deshalb sind Friedensgebete keine weltfremde Spinnerei, sondern haben die Kraft, Verhältnisse zu ändern.

 

Gebet von Pfarrer Tobias Hoffäller

Gott, du hörst unsere Gebete. So bitten wir dich

für die Opfer der Nazipogrome an den vielen Orten der grausamen Verbrechen.

Für die, die gefangen waren, gefoltert und missbraucht wurden, denen die Würde genommen wurde, denen man das Leben genommen hat, die ermordet wurden. Schuldlos.

Gott, du hast ihre Namen nicht vergessen. Sie sind aufgeschrieben im Buch des Lebens. Nimm sie auf in dein gelobtes Land und in deinen großen Frieden.

Für die Menschen in der Ukraine, und in allen Ländern, die getroffen sind von den Folgen des Krieges, der für so viele unfassbares Leid mit sich bringt.

Gott, höre unser Gebet für den Frieden, damit die Hoffnung in allen wieder keimen kann: in den zerstörten Seelen, den Verwundeten und Entrechteten, den Verzweifelten und Geschundenen, alle ganz nahe an deinem Herzen.

Für die Menschen auf der Flucht vor dem Krieg. Deren Leben bedroht ist, weil sie in unserem Land Sicherheit suchen. Für die jüdischen Glaubensgeschwister, die in Deutschland wieder gefährdet sind. Für die, die auf den Straßen unserer Städte angegriffen werden, weil sie „anders“ aussehen.

Gott, sei du ihnen Zuflucht und Sicherheit, schütze sie im Schatten deiner Flügel und wende alles Unheil von ihnen ab. Begegne du ihnen liebend in Menschen, die deinen Namen ehren und deiner Gerechtigkeit dienen.

Für die Menschen, die uns gezeigt und gelehrt haben, dass jeder und jede etwas tun kann gegen Diktatur und Gewalt. Die den Mut hatten, gegen die Mehrheit zu stehen und nach ihren Überzeugungen zu handeln. Die – obwohl sie auch Zweifel hatten und Fehler machten – uns zum Vorbild wurden.

Gott, wir bitten dich, schenke uns Aufmerksamkeit und Zivilcourage. Dass wir laut protestieren, wo wir Unrecht wahrnehmen. Dass wir helfen, wo andere missachtet und misshandelt werden. Dass wir in allen Menschen deine Kinder sehen.

Für die Menschen, die sich heute mit der Geschichte der Naziverbrechen auseinandersetzen und keinen „Schlussstrich“ ziehen wollen. Die der Ansicht „Nun ist doch mal genug“ nicht folgen. Die vielmehr nach genauen Umständen fragen und nach den Namen der Täter. Die die Erkenntnisse der Geschichte als Warnung und Mahnung für die Gegenwart formulieren.

Gott, sei du die Kraft aller, die klagen und mahnen und erinnern, die dein Wort und dein Gesetz in dieser Zeit lebendig halten. Gib ihnen Mut, Geduld und Weisheit.

Amen